Geschöpf, Gestalt, Wesen, Persönlichkeit - Sterne am Himmel

Ibn Sabʿīn (ca. 1217- ca.1271)

Ibn Sabʿīn, mit vollem Namen  Muhammad ibn ʿAbd al-Haqq Ibn Sabʿīn, war ein einflussreicher sufischer Philosoph und Mystiker aus dem muslimischen Spanien (al-Andalus).

Kurzer Lebenslauf:

    Er wurde 1217 n.Chr. in Murcia, al-Andalus (dem heutigen Spanien), geboren. Als junger Mann studierte er Theologie, Philosophie und die islamischen Wissenschaften in Murcia und später in Damaskus, Syrien.

    1242 pilgerte Ibn Sabʿīn nach Mekka, wo er eine tiefgreifende spirituelle Transformation erlebte, die ihn dazu führte, einen sufischen Lebensstil anzunehmen. Er gründete in Murcia eine sufische Niederlassung (ribāṭ) und zog viele Jünger an.

    Ibn Sabʿīn entwickelte ein einzigartiges metaphysisches System, das die Einheit des Seins (waḥdat al-wujūd) und die mystische Vereinigung zwischen der menschlichen Seele und dem Göttlichen betonte. Seine philosophischen Ideen wurden von früheren sufischen Denkern sowie den Werken von Avicenna und anderen neuplatonischen Philosophen beeinflusst.

    Ibn Sabʿīns bekanntestes Werk sind die "Sizilianischen Fragen", eine Sammlung philosophischer Fragen und Antworten, die er 1260 n.Chr. für den Mongolen-Herrscher Berke Khan schrieb. In diesem Text entfaltete er seine metaphysischen Ansichten und führte theologische Debatten.

    Ibn Sabʿīn starb ca. 1271 n.Chr. während einer Pilgerreise in Mekka. Er hinterliess ein bedeutendes Erbe als einer der originellsten und einflussreichsten sufischen Philosophen des mittelalterlichen Islam.

     

    Lehren und Praxis

    Ibn Sabʿīn war eine zentrale Figur in der Blütezeit des Sufismus im 13. Jahrhundert. Er entwickelte ein einflussreiches metaphysisches System, das stark vom Konzept der "Einheit des Seins" (waḥdat al-wujūd) geprägt war.

    In seiner Philosophie betonte Ibn Sabʿīn die absolute Transzendenz Gottes, aber auch die mystische Verbindung zwischen der menschlichen Seele und dem Göttlichen. Er vertrat die Auffassung, dass das Universum und alles Existierende letztlich eine Manifestation der göttlichen Einheit sind. Aus dieser Perspektive ist die Welt nicht getrennt vom Schöpfer, sondern vielmehr eine Offenbarung des Einen.

    Diese Sichtweise hatte weitreichende Implikationen für das sufische Denken und die spirituelle Praxis. Ibn Sabʿīn betonte den Zustand der "Auflösung" (fanāʾ) des Ego in Gott als höchstes spirituelles Ziel. Nur durch die Überwindung des begrenzten Selbst könne der Mensch die mystische Einheit mit dem Göttlichen erreichen.

    Darüber hinaus entwickelte Ibn Sabʿīn ein einzigartiges System der Allegorese, durch das er die klassischen Texte des Islam - den Koran und die Überlieferungen des Propheten - auf eine tiefgründige, symbolische Weise deutete. Dies trug massgeblich zur Weiterentwicklung der sufischen Exegese bei.

    Insgesamt war Ibn Sabʿīn eine äusserst einflussreiche Figur, die das metaphysische Denken und die spirituelle Praxis des mittelalterlichen Sufismus entscheidend prägte. Seine Ideen wirkten weit über seine Zeit hinaus und beeinflussten spätere Generationen von Sufis.

     

    Argumente und Gegenargumente seiner Philosohie und Mystik

    Pro

    • Vertiefung des mystischen Verständnisses: Ibn Sabʿīns Allegorese eröffnete den Sufis eine tiefere, symbolische Sichtweise auf den Koran und die Hadith-Überlieferungen. Dies ermöglichte ihnen, die religiösen Quellen auf einer mystischen Ebene zu erfassen und daraus spirituelle Erkenntnisse zu gewinnen.
    • Stärkung der Vereinigung mit Gott: Durch seine Betonung der "Einheit des Seins" (waḥdat al-wujūd) verband Ibn Sabʿīn die allegorische Deutung der Texte mit der Vorstellung einer mystischen Vereinigung zwischen Mensch und Gott. Dies bestärkte die Sufis in ihrem Streben nach Auflösung des Ego und Verschmelzung mit dem Göttlichen.
    • Legitimierung spiritueller Erfahrungen: Die subtilen, symbolischen Interpretationen Ibn Sabʿīns halfen den Sufis, ihre oft ungewöhnlichen spirituellen Erfahrungen und Visionen in Einklang mit den heiligen Schriften des Islam zu bringen. Dies stärkte die Legitimität ihrer Praxis.
    • Individualität der Deutung: Ibn Sabʿīns Allegorese betonte, dass der Schlüssel zum Verständnis der Texte in der individuellen spirituellen Erfahrung liegt. Dies förderte eine Atmosphäre der Offenheit und Kreativität in der sufischen Exegese.
    • Brücke zwischen Theologie und Mystik: Durch seine gelehrte Herangehensweise verband Ibn Sabʿīn theologi-sches Wissen mit mystischer Erkenntnis. Dies trug dazu bei, die Kluft zwischen den orthodoxen Theologen und den spirituell orientierten Sufis zu überbrücken.

    Insgesamt trug Ibn Sabʿīns allegorische Interpretation dazu bei, den Sufismus tiefer in die religiösen Traditionen des Islam zu verwurzeln und ihn als eine authentische Form des spirituellen Strebens zu etablieren.

    Kontra

    Es gab durchaus einige Kritikpunkte, die andere islamische Gelehrte an Ibn Sabʿīns allegorischer Interpretation der heiligen Texte äusserten:

    • Abweichen vom wörtlichen Textverständnis: Viele traditionelle Theologen sahen in der symbolischen Deutung eine unzulässige Abkehr vom klaren Wortlaut des Korans und der Hadith-Überlieferungen. Sie argumentierten, dass eine solch tiefgründige Allegorese dem ursprünglichen Sinn der Texte widerspreche.
    • Übermässiger Subjektivismus: Einige Gelehrte befürchteten, dass Ibn Sabʿīns Betonung der individuellen spirituellen Erfahrung als Schlüssel zum Textverständnis zu einem Subjektivismus führen könnte, der die Autorität der etablierten Auslegungstradition untergrabe.
    • Pantheistische Tendenzen: Die Lehre von der "Einheit des Seins" (waḥdat al-wujūd), die das Zentrum von Ibn Sabʿīns Denkens bildete, wurde von manchen als zu nah am Pantheismus empfunden. Dies stand im Widerspruch zur strengen islamischen Vorstellung von der Transzendenz Gottes.
    • Gefahr der Häresie: Einige orthodoxe Gelehrte sahen in Ibn Sabʿīns Allegorese die Gefahr, dass die Gläubigen vom rechten Glauben abkommen und in ketzerische Ansichten abgleiten könnten. Sie warnten vor den möglichen Kon-sequenzen seiner Interpretationen.
    • Mangelnde Rückbindung an die Tradition: Kritiker argumentierten, dass Ibn Sabʿīn seine Auslegungen nicht hin-reichend auf etablierte Traditionen der Koranexegese und Hadith-Wissenschaft stützte. Seine Methodik erschien ihnen zu innovativ und losgelöst von den überlieferten Deutungsrahmen.

    Insgesamt war die Skepsis gegenüber Ibn Sabʿīns unorthodoxer Herangehensweise bei vielen traditionalistisch ausgerichteten Gelehrten recht gross. Sie sahen darin die Gefahr einer Untergra-bung der religiösen Autorität und Authentizität.

     

    Zitate

    Ibn Sabʿīn war ein einflussreicher muslimischer Mystiker und Philosoph des 13. Jahrhunderts, der für seine allegorische Interpretation der islamischen Texte bekannt war. Hier sind einige Auszüge aus seinen Schriften, die seine Denkweise illustrieren:

    • "Die Quran-Verse sind wie Spiegel, in denen sich die spirituelle Realität widerspiegelt. Der Schlüssel zu ihrem Verständnis liegt in der inneren Erleuchtung, nicht im Buchstaben."
    • "Die Einheit des Seins (waḥdat al-wujūd) ist die tiefste Wahrheit des Daseins. In ihr sind Geschöpf und Schöpfer eins, wie Welle und Ozean."
    • "Der Sufismus ist der Weg, auf dem der Mensch zur völligen Auflösung des Ego und zur Vereinigung mit Gott gelangt. Dies ist das höchste Ziel des spirituellen Strebens."
    • "Die äusseren Rituale und Gesetze des Islam sind wie die Schale, die den Kern des mystischen Wissens umhüllt. Nur wer in die Tiefe vorstösst, kann dieses Wissen erlangen."
    • "Gott ist der Eine, der Einzige, der alles umfasst und durchdringt. In Ihm sind alle Gegensätze aufgehoben - Sein und Nichtsein, Endliches und Unendliches."

    Diese Zitate vermitteln den Einblick in Ibn Sabʿīns mystische, allegorische Sichtweise auf den Islam, die seine Anhänger tief beeinflusste, aber auch auf Kritik traditionalistischer Gelehrter stiess.